Wir Bündischen besingen den Tod als Freund Hein. Mit einer Kumpelhaftigkeit. Das wohl auch, weil wir auf Fahrten einiges riskieren, riskiert haben. Viele sagen, sie stehen so mit dem Tod auf Du und Du. Und das besingen wir in vielen schönen, meist älteren Liedern. Es wird nicht geklagt. Angst vorm Tod direkt kommt in unseren bündischen Liedern nicht vor. – Alles ist im Wandel – Panta rei.
- STAUB: Das Weltallgesetz sagt, dass (fast) alles im Weltall Leben ist, sich bewegt, Atome kreisen umeinander. Wenn wir von Sterben sprechen, dann meinen wir den Wandel. Ein Brot verschimmelt, manches fault, manches zerfällt und wird in unserem Blick bewegungslos, Ströme fließen nicht mehr, Herzen hören auf zu schlagen, Wasser entweicht, Energie strömt nicht mehr, die Form verändert sich, Blätter fallen, Blumen verwelken verwelken, Tiere werden gefressen, Menschen nennt man Leichen. Sie werden verbrannt oder vergraben. Aber die Atome des Vergehenden bewegen sich weiter. Tod bedeutet also Veränderung und weiterhin Bewegung, für uns unsichtbar.
- SEELE: Ich glaubte nie das Weiterleben von Wesen. Dann hatte ich ein starkes Erlebnis. Meine Frau, Susanne, hatte in der Kindheit ihren Vater nicht kennengelernt, einen französischen Offizier, der algerischer Jude war und Architektur studierte. Susannes Mutter hatte sich von ihm getrennt und alle Erinnerungsstücke vernichtet. Susanne hatte Jahrzehnte nach ihrem Vater, nach ihren Wurzeln gesucht in den USA, in Frankreich, in Algerien, in Israel, in Deutschland. Sie ging zu einer Frau, die jahrelang zweimal in Hamburg praktizierte und in England das Gespräch mit Gestorbenen studiert hatte. Die Frau sagte ihr, dass in einem halben Jahr ein Brief käme, der ihr helfen würde. Als die Dame wieder da war, ging Susanne zum zweiten Mal hin und erfuhr, der Brief sei schon unterwegs. Und der Brief kam. Onkel Jerome schrieb, er hätte von ihr erfahren, ihr Vater sei schon tot, aber er wolle sie als Mitglied der Familie willkommen heißen. Susanne mit Tochter fuhr nach Frankreich. Sie wurden herzlich aufgenommen. Meine Tochter lebt seither in Frankreich mit der Familie in gutem Kontakt, hat zwei Kinder in der Bretagne. Woher wusste Jerome von Susanne: In Paris spielten Menschen Boule. Jemand rief: “Frau El Kaim, jetzt sind Sie dran.“ Am Rand stand eine andere Frau El Kaim, die ihre Namenscousine ansprach, wie es bei Juden aus Familieninteresse üblich ist. Sie kamen ins Gespräch. Die eine lud die andere auf ein Käffchen ein und zeigte ihr einen Brief, den sie vor Jahren von Susanne bekam. Die andere nahm den Brief, der ihren Stamm betraf und gab ihn Jerome. Dieser Brief änderte viel im Leben von Susanne und mehreren drum rum. Und er beweist mir, dass es Kräfte oder Strömungen gibt, die wir Seelen nennen, und die mit dem zu tun haben, was wir Ahnung oder unsere Ahnen nennen und den Lebenden gern helfen. Wie hätte sonst die weise Frau aus England von dem Brief wissen können?
- DRITTE KRAFT: Die dritte Frage ist, ob das wohl mit der christlichen Dreieinigkeit zu tun haben könnte. Sollte da nachgeforscht werden? Reicht der Wunsch von Weitergebe guter Bräuche und von Familienzusammenhalt über das Leben hinaus? Sind die Ahnen viel wichtiger, als wir heute zumeist denken? Oder statt im Christentum im Leben die „Dritte Kraft“? Ich möchte einen weiter denkenden Pastor oder einen Weisen dazu befragen.
- Diese Gedankenkette scheint mir als Wandervogel, der ich der Natur bei mir zu Hause und in Gedanken nahe bin, unserem Wandervogelleben doch recht nahe zu sein. Kommt aus ähnlichem Denken und Fühlen das fast fröhliche Singen vom Tod in unseren Liedern? Diese Angstfreiheit, Angst höchstens vor langem, schrecklichen Leiden? Aber dafür gibt es ja zumindest eine Patientenverfügung und auch eine rituelle Patientenverfügung. hedo