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Tschaigeschichte
In der 20er Jahre, also bald vor 100 Jahren, hatte die WV-Gruppe Backschaft Störtebeker von Werner Helwig in Hamburg einen Fischerewer auf der Elbe bei Blankenese. Und es waren junge, wilde Gesellen und Weltenfahrer. Sich kochten den Rotwein auf russische Art.
Mit Mandeln, rosinen, Nelken, Zimt und Tee. Denn an Festtagen trinken Russens gern ihren Tschasi nicht in Wassergekocht, sondern in Rotwein. Unter den Backschaftleuten waren Russlandfahrer, die diesen Brauch kannten. Wie und wo die Wandervögel dort vom Tschai erfuhren ist eine andere Geschichte. Wer davon wohl eine Ahnung hat?
Und wenn die Backschaft mal die anderen Hamburger Wandervögel einlud, an den Övelgönner Strand zum Sonnenwendfeuer, oder auf den Falkenberg, der Störtebekers Zuflucht gewesen sein soll, dann gab es Tschai vom Feinsten.
Er wurde mit Brimborium kredenzt. Der schmec kte und duftete so gut, dass manche die Augen verdreht. Und das sprach sich blitzschnell rum. Ihr wisst, viele Wandervögel tranken keinen Alkohol, waren ja oft noch halbflügge Jungs und Mädels. Und die Kunde ging rum, der Tschai sei kein Alkohol, sondern ein Alltagsgetränk, was ja nicht ganz stimmt, denn es war ein Festtagsbrauch. Doch vorsichtshalber erfand man den „Babytschai“, der in Kirschsafft oder so für die Lütten gekocht wurde.
Viele Hamburger Wandervögel, es waren ja über 600, verfielen dem Tschai, besonders bei zünftigen Festen und an festlichen Wochenenden und erfanden zur Abschreckung oder zur Beweihräucherung schöne Zeremonien auf mannigfaltige Weise. Und das ist bis heute so geblieben. Gab es den Hamburger Wandervogel auch in der Nazizeit nicht offiziell, zur Tschaizeremonie auf dem Falkenberg kamen immer viele zusammen, das waren die Falkenberger mit Kind und Kegel.
Mein Vater, mein Onkel, schwärmten von diesen Treffen. Und das ging so weit, dass es bei Familiengeburtstagen auch Tschai gab, und es wurde immer etwas anderes hineingetan. Und wenn manches nicht da war, wurde es durch anderes ersetzt wie Pflaumen, Apfelringe, Pfefferminzblätter, Verbene, Brombeerblätter, Yogitee, Johanniskrautblüten, Kirschsaft, gehackte nüsse und vieles mehr. Alkohol war verspottet, aber Tschai wurde zur glorreichen Tradition. Auchsd jetzt im neuen Wandervogel am Feuer.
Regt der Rotwein doch an, und der Tee verstärkt philosophische Gespräche bis nach Mittermach. Und es wurde gedichtet, bevor getrunken wurde. Die Tschaikanons entstanden.
Und einige der Spontandichtungen wandertgen in die Festbücher der Gruppen. Hier sind ein paar davon, die Du teils nur verstehen kannst, wenn Du weißt das jede Mandel im Tschai ein Kind bedeutet, einen neuen Wandervogel oder eine geistige Rosine:
SPONTANDICHTUNGEN
Ich beginne es zu ahnen, auch die alten Veteranen erfüllen ihre hohe Pflicht und fabrizieren ein Tschaigedicht.
Das Glück, was es auch immer sei? Lang zu! Noch schwimmt eine Mandel im Tschai!
In Lüttenmark zur Vollmondnacht hat Kati uns den Tschai gemacht.
Zur Vollmondnacht in Lüttenmark macht uns der Tschai besonders stark.
Das Sürcheklopfen geht mir auf den Wecker, aber trotzdem, der Tschai ist lecker.
In der Nacht zum ersten Mai gibt es den Walpurgistschai.
In Lüttenmark ein Tschaifeuer brennt. In so einer Nacht wird nicht gepennt.
Haste mal auf Tschai nen Bock, bist falsch im Trockendock.
Ist die Katze mondscheinwandeln, geh’n die Mäuse an die Mandeln.
Stammtischsprüche den schwarzen Kollegen, wir loben den Tschai, er hat unsern Segen.
Der Mensch lebt nicht von Brot allein, der Hund nicht nur von Wurst.
Der Wande3rvogel liebt ‚nen Tschai, zu pflegen seinen Durst.
Eva hat Tschai mit Apfel gemacht, das hat den Adam leichtsinnig gemacht.
Der alte Herr von Rabeneck säuft meistens Meet und manchmal Beck,
Bei Raben in alter Kumpanei gibt es Elefantentschai.
Um elfuhrelf gibt’s Elfentschai, um zwölfuhrzwölf sind wir schon drei.
Holst Du den Baum für den ersten Mai, vergiss nicht den Rotwein für den Tschai!
Tschaibletten sind voll Kraft. Die Atti trinkt nur Saft.
Schüttste Tschai in Hosentaschen, haste immer was zu naschen.
Liebeskumemr doer krank, Tschaij hilft immer gotseidank.
Fraun´, Dudelsack und Tschai. Rabenfest o maiomai.
Wenn der Tschaij nach Kryton schmeckt, hat’s im Kernkraftwerk geleckt.
Liebe ist ein Fest. Deshalb ist es recht – besser als zu viel zu geiern ist es gut
TSCHAIZEREMONIE
Tschai-Zeremonien Tschailieder sind bei Wandervogeltreffen am Feuer wichtig zur Umrahmung der Tschi-Zeremonie. Ähnlich wie bei den Festen bei einer Festtafel festlich gespeist wird, wird der Tschai von Auserwählten gebraut, dann kredenzt und zeremoniell getrunken, indem jeder vor dem Trinken für alle hörbar einen (möglichst selbstverfassten) Spruch sagt. Diese ca. 1920 im Wandervogel aufgekommene Teezeremonie mit dem oft alkohollosen Tschai wurde von vielen anderen Gruppen übernommen und im Wandervogel weiter stets variabel verfeinert. In unserer zeremonie-armen Zeit ist die Tschaizeremonie für viele Teilnehmer einer der Höhepunkte der Wandervogeltreffen am Feuersteinkreis heute.